12 Aspekte menschlichen Daseins, kinetisch interpretiert
Informationen zur Ausstellung im Glaspavillon Rheinbach vom 1. April 2023 bis 28. Mai 2023
Ort: Glaspavillon Hans-Schmitz-Haus in Rheinbach, An der Glasfachschule 4, 53359 Rheinbach
Kontakt: info@willi-reiche.de
Dauer: 01. April 2023 bis 28. Mai 2023
Vernissage: 01. April 2023 um 16.00 Uhr
Grußwort: Karl Heinrich Kerstholt, stellvertr. Bürgermeisters der Stadt Rheinbach
Einführung: Dr. Helga Stoverock (Bonn), Kunsthistorikerin
musikalische Begleitung: Anke Kreuz (Wachtberg), Flötistin
Finissage mit Lesung: 28. Mai 2023 um 16.00 Uhr
Krimi-Lesung: Wilfried Lülsdorf (Wachtberg) liest aus seinem Wachtberg-Krimi „KünstlerPech“
Sonntags kann der Glaspavillon nach vorheriger Terminvereinbarung mit dem Künstler besucht werden. Bitte frühzeitig melden per E-Mail an info@willi-reiche.de
Die Ausstellung lässt sich zudem tagsüber jederzeit von außen betrachten, die kinetischen Exponate sind mit Bewegungsmeldern versehen und setzen die Werke für ein kurzes Zeitintervall durch die Glasscheiben hindurch in Gang.
From cradle to grave – or C2C
Nein, nicht die viel zitierten „Formulare, Formulare“, hier geht es um handfeste kinetische Kunst; zwölf Werke zu exemplarischen Aspekten des menschlichen Daseins, von der Geburt bis zum Tod – oder bildlich: Von der Wiege bis zur Bahre.
Die Idee zu dieser Thematik existierte schon länger, realisiert wurde das Konzept letztlich während der Corona-Pandemie. Dank des von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien initiierten Programms NEUSTART KULTUR konnte die Umsetzung mithilfe eines von der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL) ausgeschriebenen Stipendiums erfolgen.
Die Zeiten ohne Ausstellungen, ohne Gäste in der Kunstmaschinenhalle, ohne regen Austausch mit kunstaffinen Menschen haben mögliche Einnahmequellen auf Eis gelegt. Andererseits sind zeitliche Freiräume entstanden, Schaffenszeiträume. Ganz im Sinne der Redensart „Hoffnung ist der Wanderstab des Lebens von der Wiege bis zur Bahre“ ging das künstlerische Schaffen weiter, das Stipendienprogramm hat dafür den finanziellen Rahmen geschaffen.
Die Ausstellung im Glaspavillon Rheinbach präsentiert nun vom 1. April 2023 bis 28. Mai 2023 das Resultat. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle für die Unterstützung!
Anders als bei seinen bisherigen Kunstmaschinen, die, jede für sich, einen Titel tragen und eine eigene Geschichte erzählen, lebt diese Ausstellung von der Komplexität des Gesamtszenariums. Einige Objekte beziehen sich auf ein Datum oder Stadium: Geburt, Exitus, Kindheit, Senium. Andere Arbeiten veranschaulichen besondere Erfahrungen und Vorlieben, etwa Sport, Medizin, Mobilität; ästhetisch, humorvoll, skurril oder auch ein wenig sarkastisch. Assoziationen und Erinnerungen bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte zum eigenen Leben der Rezipierenden.
Auch die neuen Werke von Willi Reiche basieren auf seinem umfangreichen Fundus aus Hoch- und Alltagskulturen, Industrie und Landwirtschaft, Technik und Wissenschaft, Sport, Lifestyle etc. Derartige Zeugnisse unserer Konsumgesellschaft rücken, in neuem Kontext kinetisch inszeniert, ausrangierte Dinge positiv in den Fokus, wiederverwertet, aufgewertet. Nachhaltigkeit und Upcycling sind für Reiche seit jeher maßgeblich. Auch die Übersetzung „from cradle to grave“ spielt auf Wegwerfmentalität an. Dem verschwenderischen Umgang mit Ressourcen steht Cradle-to-Cradle (C2C) gegenüber, ein Prinzip, in dessen Produktionsprozessen mit geschlossenen Kreisläufen keinerlei „Abfälle“ entstehen.
Fotos und Kurzbeschreibungen
Zu den Abbildungen und Kurzbeschreibungen der einzelnen Objekte von Geburt bis Exitus gelangen Sie jeweils über die entsprechend verlinkten Anker (mit der # Raute):
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GEBURT
Eine oktagonale Vitrine, montiert auf einem hohen Standfuß aus Edelstahl, dreht sich um die eigene Achse. Darin auf Sichthöhe, frei schwebend von oben herabhängend befestigt, baumelt sanft eine Geburtszange. Die Zange mit ihren gekreuzt miteinander verbundenen „Löffelhaken“ glänzt und reflektiert im LED-Schein der Vitrinenbeleuchtung.
Ober- und unterhalb ist der prismaförmige Schaukasten mit Kunstblumen, roten Anthurien, bestückt. Rot ist die Farbe des Blutes und des Körpers und gilt als kraftvoll und energiegeladen, in manchen Religionen auch für die Erschaffung der Menschheit.
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KINDHEIT
Auf einer Holzbox trohnt ein historischer Kinder-Hochstuhl. Unterhalb der Sitzfläche rotieren zwei Teddybär-Brummstimmen, die jedoch eher an das Blöken von Schafen erinnern. Von der Rückenlehne des Hochsitzes ausgehend ragt ein Gebilde empor aus Kinderwagenrädern, darunter vier Speichenräder, jeweils paarweise auf einer Achse. Das überwiegend rote Räderwerk dreht sich – teils im Uhrzeigersinn, teils gegenläufig.
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MUSIK
Der imposante, außergewöhnlich ästhetische, von oben beleuchtete Gussrahmen auf einem optisch zurückhaltenden fahrbaren Eisengestell verleiht dem schwergewichtigen Bestandteil eines einstigen Pianos eine gewisse Leichtigkeit.
Ein schwarzer Klavierhocker mit einem Dünsteinsatz als Sitzfläche, die sich obendrein auch noch dreht, lädt partout nicht dazu ein, sich hier niederzulassen. Zur Rechten hängt eine altmodische schwarze Aktentasche – als habe nach der letzten Klavierstunde hier jemand seine Notenblätter vergessen. In vier Bereichen ziehen Metallstäbe, an deren Enden flexible Federstahllaschen befestigt sind, kreisende Bewegungen über die Klaviersaiten hinweg. Dadurch entsteht eine eigenwillige akustische Komposition.
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SPORT
Schwimmflossen, Boxhandschuhe, Tennisschläger und Holzpaddel in warmen Farben – von Beige über Orange und Rot bis Braun – führen einen eigentümlichen Tanz auf. Die Tennisschläger repräsentieren einen typischen Breitensport, Schwimmflossen und Paddel stehen stellvertretend für sportliche Fortbewegung zu Wasser, die Boxhandschuhe verkörpern exemplarisch den Kampfsport. Die jeweils paarweise agierenden markanten Formen erinnern mit ihrem Erscheinungsbild an die Trimm-dich-Bewegung der 1970er-Jahre und deren Kampagne mit dem Slogan „Trimm dich durch Sport“.
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MULTIMEDIA
Ein höhenverstellbarer Dreifuß aus dem Hause Johann Gg. Bachofer, Laboratoriumseinrichtungen, bildet die Basis dieses „Multimedia-Baumes“, an dem eine Fülle anachronistischer Relikte aus dem Zeitalter analoger Medien drappiert ist. Lediglich der etwas abseits stehende Power MAC G4 verweist auf den Einzug digitaler Techniken. Ob Magnettonbandspulen oder Filmfangspulen, die Beleuchtungseinrichtung eines Fluoreszensmikroskops von Carl Zeiss, Mikrofon, Lautsprecher, Filmkassetten, Objektive und etliches mehr – mit Reitern auf Dreikantprofilen montiert wuchert die Installation wie eine aus den Fugen geratene Versuchsanordnung in alle Richtungen.
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MOBILITÄT
Die wundersame Kreatur, aufgebockt auf einer langen Stange mit zierlichem Dreifuß, erinnert zunächst an die Anatomie eines Laufvogels, insbesondere dann, wenn die beiden Kälbermilcherwärmer beginnen, vor und zurück zu schwingen.
Ein auf- und abwärts wippender Sozius-Schwingsattel mit Holzgriff, ein sich ebenfalls bewegender Tropfentank sowie der Blechkanister mit integriertem Ausgießer hingegen sind Indizien für motorisierte Beweglichkeit.
Diese eigentümliche Schöpfung visualisiert zweierlei Arten der räumlichen Mobilität des Zweibeiners – aus eigener Kraft durch körperliche Aktivität oder mittels Hilfsmitteln, etwa kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen.
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HANDWERK
Drei Langhobel unter einem massiven Kirschholzklotz bilden den fahrbaren Fuß für eine kleine Ständerbohrmaschine, die in mehrere Richtungen mit Handwerkzeugen bestückt ist. Zuoberst schwingen zwei Schreinerklüpfel erhobenen Hauptes hin und her. Darunter ziehen sieben hölzerne Schrupphobel, in dichter Folge auf einer Antriebskette befestigt, im Dreieck ihre Bahn.
Drei Bohrkurbeln, deren Griffrollen sich fast bis zur Berührung nähern, rotieren zur einen Seite. Zur anderen Seite hängt ein sich drehender Kegel mit vier Handstichsägen herab. In greifbarer Nähe steht ein ausklappbarer, tragbarer Werkzeugkasten bereit. Es gibt keinen Zweifel: hier geht es um Handwerk.
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LABOR
Was auf den ersten Blick wie eine typische Laborinstallation wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein absurdes Arrangement von Dingen, die teils mitnichten einen Bezug zur üblichen Laborausstattung aufweisen. Man könnte diese Labor-Szene jedoch als eine Art „Labor des Lebens“ verstehen. Ob Kälbermilcherwärmer, keramische Isolatoren, Wärmeaustauscher oder ein Sortiment unterschiedlichster Öl- und Schmierstoffproben – hier hat sich so manches artfremdes Detail aus anderen Zusammenhängen eingeschlichen. Die neongrüne Flüssigkeit (mit toxikologisch unbedenklichem Fluorescein-Natrium eingefärbtes Wasser) suggeriert, dass es sich hier um die reinste Giftküche handeln müsse.
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MEDIZIN
Gelbliches Cremeweiß ist der Farbton, der bei dieser Komposition ausgewählter Geräte aus Kliniken und Arztpraxen überwiegt. Die Anwendungsgebiete reichen von der Säuglingsstation bis zur Gereatrie. Über Kompressor, Elektrokardiograf, mechanischer Babywaage und Heißluft-Sterilisator prangt an oberster Stelle ein Röntgenbildbetrachter. Darauf ist aber kein Radiogramm zu betrachten, sondern eine befremdlich gepimpte Herz-Jesu-Darstellung, rundum mit einer farbig reflektierenden rotierenden Scheibe strahlenförmig flimmernd durchleuchtet – „Spinning Light Up Jesus“. Wenn es um Gesundheit und den Erhalt menschlichen Lebens geht, scheiden sich oftmals die Geister, ob hier die Hand Gottes oder die Halbgötter in Weiß Oberwasser haben sollten …
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SHITSTORM
Als würden sie miteinander kommunizieren stehen sich zwei betagte belgische Toilettenstühle gegenüber. Zwischen beiden Stühlen ein schwerer Hackblock auf Beinen aus massivem Holz, wie er in lebensmittelverarbeitenden Betrieben vorrangig zum Hacken und Zerlegen von Fleisch verwendet wird. Ob der Hackstock auch inhaltlich zwischen den beiden Stühlen steht oder ein eher verbindendes Element darstellt? Es bleibt unklar, ob sich bei diesem „Shitstorm“, der hier mit Blitzlichtern den hin und wieder aufklappenden Deckeln entweicht, zwei Verbündete einvernehmlich Luft machen oder zwei Widersacher empört Dampf über das jeweilige Gegenüber ablassen.
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SENIUM
Der Schiebe-Rollstuhl mit seiner majestätisch hohen Lehne wirkt geradezu, als säße noch immer jemand darin und schaukele versonnen pendelnd hin und her, ein wärmendes Fellkissen auf den Füßen. Wie ein würdevoller Baldachin ragt ein schirmartig gefächertes Konstrukt aus fünf Bögen mit je zwölf Aneroid-Manometern über das imaginäre Haupt. Diese Haube aus medizinischem Zubehör erinnert an die falt- und klappbaren Verdecke von Rikschas, vor allem aber auch Puppen- und Kinderwagen.
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EXITUS
Die symbolische letzte Reise geht hier mit einem Scherenwagen vonstatten. Diese bizarre Installation mit pink leuchtendem Kreuz und einem Bett aus Calla-Blüten strahlt jedoch eher Zuversicht aus, sarg- und sorglos. In der Floristik steht die weiße Calla als Symbol des ewigen Lebens für Unsterblichkeit und Hoffnung. Kein Schwarz, kein Sensenmann, keine Sanduhr – und wer lange genug hinsieht nimmt wahr, wie sich das Blumenbett aus Calla-Blüten gemächlich hebt und senkt.
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HERZLICHEN DANK FÜR DIE UNTERSTÜTZUNG!
Fotos von der Vernissage am Samstag, 1. April 2023
Die Ausstellung füllt sich zusehends … Hier die ersten 50 Minuten in 16-facher Geschwindigkeit
Innen- und Außenansichten der Ausstellung
Kamerafahrt rund um den Glaspavillon
